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Stellungnahme: Maßnahmen zur Vermeidung von Carbon-Leakage

Energie Klimaschutz Positionspapier
[vc_row][vc_column][vc_column_text]Stellungnahme des Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit einer Verordnung über Maßnahmen zur Vermeidung von Carbon-Leakage (25.2.2021) durch den nationalen Brennstoffemissionshandel (BEHG-Carbon-Leakage-Verordnung – BECV) vom 11. Februar 2021 Die konsequente Bepreisung des CO2-Verbrauches in privaten und gewerblichen Sektoren des Marktes für Wärme und Verkehr stellt eine wesentliche Ergänzung des bereits seit vielen Jahren existierenden europaweiten Emissionshandelssystems für ca. 50% der gewerblichen Emittenten dar. Der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft kritisiert grundsätzlich den Einstiegspreis von 25.-€/t CO2 und die beabsichtigten Wachstumsraten in Übereinstimmung mit zahlreichen anderen Industrieverbänden als viel zu niedrig. Die Erstkompensation dieses viel zu niedrigen Emissionspreises findet sowohl als Entlastung bei den EEG-Entgelten bzw. ersparte EEG-Erhöhungen für alle Stromverbraucher:innen, die dieses bezahlen müssen, statt. Die Entlastung im ersten Jahr wird mit ca. 2 Mrd.€ beziffert. Zusätzlich sollen nun mit der vorgelegten BEHG-Verordnung weitere kompensierenden Beihilfen auf Antrag gewährt werden. Der vorliegende Verordnungsentwurf soll Anspruch und Höhe einer kompensierenden Beihilfe regeln. Die Höhe der Beihilfen ist dabei abhängig davon, welchem Sektor das begünstigte Unternehmen zuzuordnen ist. Je nach Sektor bzw. Teilsektor macht die Kompensation 65 bis 95% der Kostenbelastung aus der CO2-Bepreisung aus. Die beihilfefähige Brennstoffmenge wird anhand eines Brennstoff-Benchmarks ermittelt. 250 Tonnen CO2 werden dabei als Selbstbehalt von der beihilfefähigen Menge abgezogen (siehe §9). Zudem sind lauf §10 die Stromkostenentlastungen des Unternehmens von dem Beihilfebetrag abzuziehen. Für das Jahr 2021 wurde die Höhe der anzurechnenden Stromkostenentlastung auf 1,37 ct/kWh festgelegt. Der Wert ergibt sich als Differenz zwischen dem EEG-Umlage-Betrag, welcher sich ohne Entlastung durch die Erlöse der CO2-Bepreisung ergeben hätte, und dem festgelegten Betrag der EEG-Umlage im Jahr 2021. Unternehmen können die Beihilfe beantragen, wenn ihre Emissionsintensität (Verhältnis der Brenn-stoffemissionsmenge zu Bruttowertschöpfung) mindestens 10% des Sektordurchschnitts beträgt. Zusätzlich zu den Carbon Leakage Sektoren des EU ETS können weitere Sektoren entlastet werden. Diese müssen entweder einen nationalen Carbon Leakage-Indikator (Produkt aus Handelsintensität und Emissionsintensität) über 0,2 aufweisen (§22) oder aber (wenn deren nationaler Carbon Leakage-Indikator 0,15 übersteigt oder deren Emissionsintensität über 1,5 kg CO2 pro Euro Bruttowertschöpfung liegt) qualitative Kriterien erfüllen (§23): Möglichkeiten für Anpassungsreaktionen sind:
  • Möglichkeit, CO2-Kosten an Kund:innen weitergeben zu können (Marktbedingungen)
  • Gewinnspannen und Standortverlagerungen
  • Als Gegenleistung muss das begünstigte Unternehmen ein zertifiziertes Energiemanagementsystem nach DIN EN ISO 50001 oder ein zertifiziertes Umweltmanagementsystem nach EMAS eingeführt haben. Für Unternehmen mit einem Gesamtenergieverbrauch fossiler Brennstoffe von weniger als 5 GWh pro Jahr ist der Betrieb eines nicht zertifizierten
  • Energiemanagementsystems oder die Mitgliedschaft in einem Energieeffizienz- und Klimaschutznetzwerk ausreichend.
  • Zusätzlich müssen entlastete Unternehmen nachweisen, dass sie die Beihilfe (teilweise) für Maßnahmen zur Dekarbonisierung des Produktionsprozesses bzw. zur Verbesserung der Energieeffizienz verwenden. Dies gilt zumindest dann, wenn Maßnahmen im Rahmen des Energiemanagementsystems nach § 11 konkret identifiziert und als wirtschaftlich durchführbar bewertet wurden. Im Referentenentwurf ist bisher offengelassen, ob die Wirtschaftlichkeit durch die Kapitalwertmethode oder nach Amortisationszeit festgestellt werden soll (§ 12). Wenn entsprechende wirtschaftliche Maßnahmen identifiziert wurden, muss ein Anteil von mindestens 50 oder 80% (im Referentenentwurf noch offen) der gewährten Beihilfesumme dafür eingesetzt werden. Diese Investition kann auch für mehrere Jahre angerechnet werden.
Der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft lehnt den kompletten Verordnungsentwurf aus grundsätzlichen Erwägungen heraus ab. Dies wird wie folgt begründet: 1) Ausnahmen müssen die Ausnahme bleiben Unternehmen haben auf 77 Prozent aller in Deutschland verursachten CO2-Emissionen Einfluss (vgl. SVR 2019, S. 78ff.). Sie haben nur dann verstärkt Anreize in klimafreundliche Technologien zu investieren, wenn die Preissignale auch bei ihnen ankommen. Nur so kann der nach § 1 BEHG genannte Lenkungszweck zur Erreichung der nationalen Klimaschutzziele, einschließlich des langfristigen Ziels der Treibhausgasneutralität bis 2050 und zur Erreichung der Minderungsziele nach der EU-Klimaschutzverordnung erfüllt und etwaige aus der Effort-Sharing-Entscheidung und der EU Climate Action-Verordnung resultierende Belastungen für den Bundeshaushalt vermieden werden. Je mehr klimaschädliche Emissionen die Unternehmen ausstoßen, umso weniger dürfen sie von Ausnahmen profitieren. 2) Intransparentes und willkürliches Verfahren (Teil-/Sektoren, Produkt-Benchmarks, Handelsin-tensität, Haushaltsvorbehalt etc.) Die Liste der beihilfefähigen Sektoren bzw. Teilsektoren umfasst alle Sektoren, die auch im EU ETS (in der vierten Handelsperiode) beihilfeberechtigt sind. Sie deckt über 90 Prozent der Industrieemissionen ab. Zusätzlich können weitere Sektoren auf Basis qualitativer Kriterien aufgenommen werden. Die Liste der beihilfefähigen Sektoren ist sehr umfangreich. In §19 ff. wird ein Mechanismus der Festlegung neuer Sektoren mit ihren beihilfewirksamen Parametern zwischen dem Bundesumwelt- und dem Bundeswirtschaftsministerium, quasi nach „freiem Ermessen“ beschrieben. Dies wird Lobbyismus Tür und Tor öffnen, zumal auch qualitative Aspekte, wie „Verlagerungsrisiken“ (§23) berücksichtigt werden sollen. In §5 (1) wird auf eine Anlage verwiesen, in der wesentliche Kennziffern für die Beihilfenberechnung aufgeführt sind. Die Kriterien für diese Kennziffern geben möglicherweise einen aktuell zutreffenden Standard der Sektoren wieder, belegt wird dies jedoch nirgendwo. Auch die Entwicklungspfade durch Effizienzinvestitionen werden durch die umfangreichen Berichts- und Prüfungszeiträume nur zu einer verzögerten Anpassung dieser gewünschten „Best-Practice“-Standards führen, obwohl eigentlich Eile bei der Erreichung der Klimaziele geboten wäre. Der einzige „Trost“ bietet §4 (4): Dort wird die Beihilfe nur gewährt, sofern im jeweiligen Bundeshaushalt ausreichend Mittel veranschlagt sind. Übersteigen die Beihilfeanträge die Haushaltsmittel, so werden sie proportional gekürzt. Dies wird zukünftigen Regierungen ermöglichen, dem „Spuk“ ein schnelles Ende zu bereiten... Allerdings wird eine Planbarkeit für die Wirtschaft mit dieser Verordnung dadurch konsequent vermieden! 3) Beihilfen nur für tatsächlich im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen Die Verordnung darf im Sinne des BEHG und des EU-Beihilferechts nur für Unternehmen mit einem tatsächlichen Carbon-Leakage-Risiko gelten. Die Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und des Münchener ifo Instituts (vgl. DIW ifoInstitut 2020) kommen zu den eindeutigen Ergebnissen, dass die Einführung des BEHG kein erhöhtes Risiko für Carbon Leakage birgt und sich die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen mindert. Die als Grundlage für die Ausnahmen dienende Sektorenliste des EU-Emissionshandels ist damit ungeeignet (§ 5 Abs. 1) und sollte gemäß DIW gekürzt werden. Stattdessen sollten bestimmte Sektoren bzw. Teilsektoren wie der Güterverkehr explizit von der Sektorenliste ausgeschlossen werden und nicht im Rahmen der BECV beihilfeberechtigt sein. Gleichzeitig sollte der Mindestschwellenwert (§ 7 BECV) auf 25 Prozent angehoben werden, um Beihilfen zu begrenzen. Darüber hinaus ist die Anrechnung der EEG-Umlagenabsenkung auf die Beihilfe (§ 12 BECV) zu niedrig angesetzt. Die EEG-Umlagenabsenkung sollte vollständig von der Beihilfe abgezogen und damit in Höhe der gesamten CO2-Preiseinnahmen angerechnet werden. Damit würde eine angemessene Beteiligung der Unternehmen am Klimaschutz erfolgen und doppelte Entlastungen vermieden. 4) Beihilfen nur für Gegenleistungen beim Klimaschutz Grundsätzlich sollte daher der Kompensationsgrad bei 50 Prozent gedeckelt werden. Zudem sollten Unternehmen, die Beihilfen in Anspruch nehmen möchten, diese zu 100 Prozent in Klimaschutz investieren und neben einem Energiemanagement bis Anfang 2022 einen Transformationsfahrplanvorlegen müssen (§§ 11 bis 13 BECV), der Auskunft darüber gibt, wie gezahlte Beihilfen innerhalb der nächsten vier Jahre zur Reduktion von CO2-Emissionen eingesetzt werden sollen. Die Berechnung der Wirtschaftlichkeit muss zwingend nach der Kapitalwertmethode berechnet werden, um lang-fristige CO2-Minderungsmaßnahmen nicht zu benachteiligen (§ 12 BECV). 5) Der Sektor der Landwirtschaft, der durchaus ein großer Klimagasemittent ist, wurde völlig ausgeblendet. 6) Langjährig bewährte EPD (Environmental Product Declarations) würden relativ einfaches Grenzregime ermöglichen und damit internationale Wettbewerbsnachteile verhindern. In der chemischen Industrie haben sich seit vielen Jahren „EPD“ als Dokumentation für den ökologischen Fußabdruck von Produkten bewährt. Damit könnte, analog zum Mehrwertsteuerausgleich an den Grenzen, auch ein einfaches „Grenzausgleichssystem“ für exportorientierte Unternehmen etabliert werden, das Wettbewerbsnachteile in Auslandsmärkten ohne solche komplizierten und willkürlichen Regelungen vermeiden würde. 7) Die CO2-Preis-Region soll dringend auf Gesamt-EU erweitert werden, eine einheitliche EU-weite Emissionsbesteuerung ist überfällig! Das Ambitionsniveau in anderen EU-Ländern wird auch in dieser Verordnung nicht berücksichtigt. Grundsätzlich besteht in allen EU-Ländern angesichts der EU-Klimaziele und der EU-Klimaschutzverordnung die Notwendigkeit, die Emissionen auch in den Sektoren Wärme und Verkehr zu senken. Daher ist in allen EU-Ländern von Maßnahmen auszugehen, die auch bei Unternehmen des Produzierenden Gewerbes die Emissionen aus dem Brennstoffeinsatz reduzieren. Von diesen Maßnahmen werden auch Wettbewerber deutscher Unternehmen betroffen sein. In dem Maße sinkt die Carbon-Leakage-Gefahr ins EU-Ausland. Zudem haben viele EU-Mitgliedstaaten ebenfalls CO2-Preise im Wärme-und/oder Verkehrsbereich eingeführt. Fazit: Die Liste der beihilfefähigen Sektoren schafft keine Eingrenzung auf die tatsächlich gefährdeten Branchen und schafft auch keine gleichen Wettbewerbsbedingungen für ETS und BEHG Anlagen. 8) Vorreiter-Unternehmen beim Klimaschutz nicht benachteiligen Beihilfen dürfen bereits von Unternehmen auf eigene Kosten getätigt und geplante Investitionen in klimafreundliche Technologien nicht entwerten. Wenn sich abzeichnet, dass ein bestimmter Teil von Unternehmen von Ausnahmeregeln und Beihilfen profitiert, wie das bereits bei der EEG-Umlage und der Stromsteuer praktiziert wird, werden vor allem mittelständische Unternehmen doppelt bestraft. Das verzerrt den Wettbewerb in Deutschland und Europa. Der CO2-Preis soll gerade Unternehmen die Chance zur Aufholjagd geben, die bisher nicht ausreichend in die Energiewende investiert haben. Dabei können diese Beihilfen für kluge Investitionen nutzen und von den Skaleneffekten und „best practise“-Beispielen bei erneuerbaren Energien und Effizienztechnologien profitieren, für die Energiewende-Pioniere gesorgt haben. Da absehbar der CO2-Preis für alle steigen muss und wird, werden Investitionen in den Klimaschutz immer rentabler. Ohne die Motivationshilfe „CO2-Preis“ und die Zweckbindung der Beihilfen entfallen hingegen weitere Anreize für Investitionen in den Klimaschutz (vgl. CO2 Abgabe e.V./UnternehmensGrün 2021). 9) Wenige Ausnahmen bedeuten weniger Bürokratie Durch die Reduzierung der Beihilfeberechtigten wird der bürokratische Aufwand geringgehalten. Der verbleibende Aufwand ist auch deswegen gerechtfertigt, weil er aus Sicht des EU-Beihilferechts und der sinnvollen Steuermittelverwendung eine Notwendigkeit darstellt. Die Prüfung des Einzelfalles ist auch dann noch gerechtfertigt, wenn die Liste der Beihilfeberechtigten erweitert würde. Denn sie ist vom Aufwand her mit der Beantragung von Fördermitteln vergleichbar. Der bürokratische Aufwand ist nicht der BECV selbst, sondern der Entscheidung für einen überkomplexen europäischen Sonderweg mit dem nationalen BEHG und dessen dreizehn Rechtsverordnungen geschuldet (vgl. Rodi et al. 2019). Mit einer weiterhin überfälligen CO2-basierten Reform staatlich induzierter Preisbestandteile im Energiebereich (vgl. SVR 2020, S. 233ff., Wurster et al. 2017) würde der bürokratische Aufwand erheblich reduziert. Investitionen, die Emissionen wirksam und dauerhaft reduzieren, sollten in den Genuss von Sonderabschreibungsmöglichkeiten oder Investitionszulagen kommen. Dieses Instrument hatte sich nach der „Wende“ beim „Aufbau Ost“ durchaus bewährt, die Finanzämter verfügen bereits über das nötige Know-How. Der Aufbau einer Bewilligungsabteilung beim Umweltbundesamt wäre damit entbehrlich. Schließlich stellt das Stellen von Beihilfe-Anträgen für viele mittelständische Unternehmen grundsätzlich eine mentale, fachliche und nicht zuletzt auch finanzielle Hürde dar.[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column][vc_btn title="Stellungnahme als PDF" color="success" link="url:https%3A%2F%2Fwww.unternehmensgruen.org%2Fwp-content%2Fuploads%2F2014%2F04%2FStellungnahmen_CarbonLeakage_Unterne…|target:_blank"][/vc_column][/vc_row]