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Regenerative Öko-Landwirtschaft hat die Antwort

BIO-Branche Mitgliedsunternehmen Interview

„Regenerative Öko-Landwirtschaft hat die Antwort“

Interview mit Julius Palm

Julius, Du bist als stellvertretender Geschäftsführer für die Strategie- und Markenentwicklung bei followfood verantwortlich. Für dich muss konsequent nachhaltiges Wirtschaften regenerativ gedacht werden. Was ist deine persönliche‚ regenerative Geschichte‘?

Ich habe mich jahrelang mit der Zukunftsfähigkeit des Menschen auf diesem Planeten beschäftigt. Um nicht depressiv zu werden, habe ich nach einem Hebel gesucht, um an der Lösung für unsere ökologischen Probleme zu arbeiten und mich wirksam zu fühlen. Auf dieser Suche bin ich der ‚Regenerativität‘ begegnet. Das überzeugte mich sowohl als Narrativ, als auch als Handlungsprinzip.

 

Nimm uns mit, was genau steckt hinter diesem Begriff?

Wir wollen weiterhin Ökosysteme produktiv nutzen, um unseren Wohlstand zu halten. Dabei verhindern wir aber aktuell, dass sich die Ökosysteme regenerieren. Viel schlimmer – wir zerstören sie. Das hat zu einer so starken Degradation geführt, dass es jetzt darum gehen muss, Ökosysteme wieder aufzubauen, um auch in Zukunft noch damit arbeiten zu können. Dabei ist Nachhaltigkeit nur der erste Schritt. Wie eine Grundvoraussetzung. Der Mindeststandard.

 

Also Ökosysteme regenerieren, während wir sie nutzen?

Genau! Es geht darum, dass wir Dinge grundsätzlich anders angehen – by Design – und damit eine systemische Lösung entwickeln, die sowohl an der Ursache ansetzt als auch resiliente Strukturen gegen die Symptome schafft. Wie zum Beispiel die regenerative Öko-Landwirtschaft.

 

Und wie kam followfood zur regenerativen Öko-Landwirtschaft?

Während meines Studiums ist mir das verwandte Konzept der Permakultur sowohl als landwirtschaftliche Praxis, als auch als Designkonzept, als Handlungsprinzip begegnet. Ich habe damals schon für followfood gearbeitet und mich gefragt, wie können wir diesen Ansatz integrieren und in die Fläche bringen. Die vielfältigen Praxisbeispiele verwenden alle unterschiedlichen Begriffe: Permakultur, Agroforst, Holistic Management, syntropische oder Kreislauflandwirtschaft. Was alle vereint: es geht um die Regeneration des Ökosystems, der Böden, der Biodiversität, des Wasserkreislaufes. Im angloamerikanischen Raum gab es dafür schon ein Wort und eine gelebte Praxis - „regenerative Agriculture“.

Ab dem Moment begann mein und auch followfoods Einsatz für die regenerative Öko-Landwirtschaft. Ich gründete 2019 bei followfood den Bodenretterfonds, der Landwirt:innen bei Investitionen in Richtung regenerativ unterstützt. Das ermöglichte, dass wir dieses Jahr die ersten Produkte aus regenerativen Systemen auf den Markt gebracht haben. Doch es hört nicht in der Landwirtschaft auf. Die große Frage ist, wie kann ein regeneratives Wirtschaften aussehen?

 

Ist der Ansatz “Regeneratives Wirtschaften“ rechtlich geschützt?

Nein. Bei der Frage „Was ist regeneratives Wirtschaften“, was ist „regenerative“ Landwirtschaft fehlt es noch an gesetzlich verankerten Standards. Aktuell kann sich jeder „regenerativ“ auf die Fahne schreiben, ohne einen Beweis zu erbringen – und das passiert leider auch. Wir brauchen daher eine Zertifizierung oder eine Art Standard, in dem wir uns auf klare Prinzipien regenerativen Wirtschaftens einigen. Hierfür braucht es auch wissenschaftliche Arbeit.

Es gibt aber noch keine institutionalisierte Forschung dazu. Wir als Unternehmen arbeiten seit Jahren an der Datengrundlage dafür. Das sollten eigentlich Universitäten machen. Wir werden von Beratungen, Universitäten, Ministerien oder Unternehmen als Expert:innen eingeladen. Das macht Spaß, nur sollte das nicht unsere Aufgabe sein.

Julius Palm BNW

Wie setzt ihr regenerative Praxis bei followfood konkret um?

Mit dem Bodenretterfonds zweigen wir 1% unseres Umsatzes ab und investieren es in landwirtschaftliche Betriebe, die über Bio hinausdenken und zusätzlich regenerativ arbeiten wollen. Konkret arbeiten wir mit Gut&Bösel in Brandenburg – auch Mitglied im BNW – an dem regenerativen Modellbetrieb Europas. Mit Benedikt Bösel und seinem Team wollen wir zeigen, dass regenerative Landwirtschaft skalierbar ist. Zusätzlich machen wir Forschungsanbau für einzelne regenerative Methoden. Zum Beispiel mit dem Unteren Berghof im Schwarzwald: Gemeinsam testen wir dort den Kartoffelanbau mit Mulch und begleiten diesen wissenschaftlich. Die ersten Kartoffelprodukte sind seit diesem Jahr schon auf dem Markt. Als TK-Pommes,-Kroketten und -Rösti bei Alnatura.

Das ist auch immer unser Ziel. Von einer Subvention hin zu einem funktionierenden Geschäftsverhältnis zu kommen. Denn erst damit zeigen wir, dass es funktionieren kann. Diesen Beweis gilt es auch mit Daten zu belegen. Da wir hier überall auf Fragezeichen stießen und niemand für uns so tief einsteigen konnte, haben wir entschieden, es selbst zu machen. Deshalb haben wir ein eigenes wissenschaftliches Team aus vier Leuten aufgebaut, die sich mit der Ökobilanzierung beschäftigen. Das Ziel ist, eine Datengrundlage für regeneratives Wirtschaften aufzubauen, um zu sehen wo welcher Impact liegt und welche Hebel wir haben.

 

Ökolandbau ist rechtlich definiert – die Begriffe „bio“ und „öko“ juristisch geschützt im Lebensmittelsektor. Wir haben seit vielen Jahren das Bio-Siegel und starke und vertrauensvolle Bio-Anbauverbände und -Marken. Wie verhält sich regenerativ zu bio?

Vorweg: wir brauchen Bio. Für mich ist Bio der Mindeststandard. Es ist viel besser als konventionelle Landwirtschaft: keine Pestizide, diversere Fruchtfolgen etc. Aber oft denkt Bio noch in den gleichen Strukturen. Denn wir schaffen es nicht, ausreichend Bodenfruchtbarkeit aufzubauen, Bodenerosion zu verhindern oder Wasser auf den Flächen zu halten. Bei der Biodiversität sehen wir Erfolge, aber auch hier geht noch mehr. Gerade in Anbetracht der steigenden Anzahl an Wetterextremen durch den Klimawandel brauchen wir widerstandsfähigere Systeme, die bei produktiver Nutzung regenerieren.

Wenn man regenerative Landwirtschaft vereinfacht erklären will, kann man sagen: Vielfalt ins System bringen. Es ist der Versuch, natürliche Ökosysteme so gut wie möglich zu imitieren. Es geht darum, Natur, d.h. Leben zu unterstützen. Dabei ist die Bodengesundheit im Zentrum. Wenn es dem Boden gut geht, geht es dem Ökosystem gut. Konkret heißt das, Bäume wieder auf die Äcker, Tiere nicht nur für Milch- und Fleischproduktion, sondern als Betriebsmittel in das Ökosystem integrieren (z.B. Holistic Grazing), Wasserkreisläufe schließen (Keyline) oder Biotope wieder vernetzen.

 

Was braucht es unternehmerisch, gesellschaftlich und politisch, um diese Transformation in der Fläche zu ermöglichen?

Wir müssen verstehen, dass nicht-nachhaltige Produkte oder Dienstleistungen aktuell nicht wirklich günstiger sind. Wir haben nur Kosten externalisiert, die versteckt als Gesellschaft kollektiv an anderer Stelle gezahlt werden. Beispielsweise durch Steuergelder, die zur Katastrophenbewältigung im Ahrtal eingesetzt wurden, oder steigende Kosten im Gesundheitssystem durch Folgen von Umweltgiften und Hitzewellen. Hinzu kommt, dass nachhaltige Produkte in unsere Zukunft investieren und Wohlstand und Gerechtigkeit sichern. Aber aktuell werden wir dafür bestraft, weil wir freiwillig höhere Kosten tragen, um nachhaltiger zu sein und gleichzeitig mit höheren Preisen am Markt konkurrieren müssen.

Allgemein wird ausschließlich nach Finanzkennzahlen gefragt, die aber gar nicht das Naturkapital, mit dem wir alle arbeiten, berücksichtigen. Banken müssen verstehen, dass das Naturkapital das zentrale Betriebsmittel und damit Risikofaktor ist. Bänker:innen sollte es unbedingt interessieren, wie es um die Bodenfruchtbarkeit eines Landwirtes bestellt ist, dem sie einen Kredit gewähren.

Politisch brauchen wir eine Incentivierung von nachhaltigem oder regenerativem Wirtschaften auf allen Ebenen, Förderprogramme für Unternehmungen, die nachhaltiger oder regenerativ wirtschaften wollen. Neben der Förderung gehört aber – mindestens genauso wichtig – dazu, schädliche Subventionen zu beenden, z.B. die Flächensubvention in der Landwirtschaft oder die Steuervergünstigung fossiler Produkte.

Künftig geht es nicht nur um Gesundung und Wiederaufbau, sondern auch um Anpassung und Resilienz. Erhalten was da ist, reicht nicht mehr. Netto Null ist nicht genug. Wir müssen mit positivem Impact wirtschaften.

 

Vielen Dank, lieber Julius, für dieses Gespräch und euer Engagement!

Pressebild Julius Palm

Julius Palm arbeitet seit 2016 bei der nachhaltigen Foodmarke followfood. Als Werkstudent begonnen, ist Julius heute als stellvertretender Geschäftsführer für die Strategie- und Markenentwicklung bei followfood verantwortlich. Sein Steckenpferd ist das Thema Regenerativität", was ihm auf der Suche nach einem Hebel für Lösungen ökologischer Probleme begegnet ist und seit jeher begleitet.